top of page

Seelentanz

Depositphotos_220761412_DS.jpg

#CharakterofSeptember2021

​

30 Fragen an meine beiden Protagonisten

Bina und Teddy

 

​

1. Bitte stell dich vor

​

Ich durchquere eine finstere Häuserschlucht in der sich auf beiden Seiten stinkender Müll und Obdachlose stapeln. Sie nehmen keinerlei Notiz von mir. Entweder sie sind zu betrunken oder zu high. Irgendwie ein beruhigender Gedanke.

Ich hasste weiter durch die schmale Gasse. Erleichtert erreiche ich endlich die breite Straße am anderen Ende.

Hier tobt das Leben. Scheppernde Autos und röhrende Motorräder brausen an mir vorbei. Techno erklingt dröhnend aus diversen Bässen. Hupen, Geschrei, Krachen.

Auf dem Gehweg drängen sich Menschenmassen aneinander. Hier und da blitzt ein künstliches Bein, Arm oder Auge aus Chrom und Technik auf. Cyberware.

Ein Geschäft nach dem anderen drängt sich aneinander. Bietet Dinge des täglichen Bedarfs an. Grelle Neonhologramme von Werkstätten, Apotheken und Flickern machen auf sich Aufmerksam und tauchen den Gehweg in ein Meer aus Licht und Farben. Ich bekomme Kopfschmerzen.

Endlich entdecke ich das gelbe Werbehologramm eines Diners. Ein Burger mit einem Saturnring rotiert gemächlich über einem kleinen Laden.

Ich dränge mich durch die Menschenmassen in Richtung Eingang und frage mich, warum wir uns ausgerechnet an so einem belebten Ort treffen mussten.

Die gläserne Türe springt auf. Der Lärmpegel bleibt gleich, aber es riecht gut, nach Burger und Pommes.

Der Laden sieht aus wie ein 50er Jahre Diner. Schwarz-weiß karierte Bodenfließen und mintgrüne Sitzecken mit weißen Tischen. Die Front eines alten Cadillacs ist über dem Tresen montiert. Die Kellnerinnen tragen die für die damalige Zeit übliche Kleidung. Kurzes Kleidchen mit weißem Kragen und weißer Schürze. Nur die Cyberware passt nicht ganz ins Bild.

„Hier hinten!“ Die helle Stimme ist über den Lärm kaum zu hören. Ich entdecke Bina mit den Händen fuchtelnd in der hintersten Ecke.

Ich quetsche mich an den Gästen und Kellnern vorbei.

„Hyou! Du hast es gefunden! Ich dachte schon, ich muss dich suchen gehen!“

Seufzend sinke ich auf die weiche Sitzbank.

„Keine Sorge, so schnell gehe ich nicht verloren.“

Bina grinst und zaubert damit ein Strahlen auf ihr rundes Gesicht. Der dichte schwarze Pony bedeckt ihre Stirn. Der Rest ihrer dunklen Haare ist in zwei Haarknoten zusammengefasst.

Ich mag die zarten, silbernen Linien in ihrem Gesicht. Die einzige Cyberware die sie hat.

„Wo ist Teddy?“

„Er muss länger bleiben, hat irgendwas von einem Notfall geschrieben. Aber er kommt, sobald er kann. Vermutlich will er nur angeben“, lacht Bina, „Soll ich dir etwas bestellen?“

„Unbedingt! Den größten Schokoladenmilchshake den es hier gibt und einen Burger mit allem drum und dran.“

„Kommt sofort!“ Vor Binas dunklen Augen flackert ein Hologramm auf. Ihr Interface. Keine Sekunde später erlischt es wieder.

„Also, welche Frage hast du für mich?“

„Stell dich vor.“

„Das ist leicht!“ Bina richtet sich etwas auf und räusperte sich. „Ich bin Bina Cho, 27 Jahre alt und wohne seit meiner Geburt hier. Hast du der Stadt schon einen Namen gegeben?“

„Ich bin immer noch bei Dark City. Eigentlich wollte ich ihr einen deutschen Namen verpassen, aber Dunkelstadt klingt nach Fantasy und was anderes fällt mir nicht ein…“

„Dir fällt bestimmt noch was ein.“ Tröstend legt Bina eine Hand auf meine und lehnt sich zurück, als ein Teil meiner Bestellung kommt.

Ich betrachte den Milchshake. Eine dicke Sahnehaube türmt sich wagemutig auf, verziert mit Schokostreuseln.

„Also, erzähl noch was über dich“, forderte ich Bina auf und genieße meinen Milchshake.

„Ich bin Streetworkerin und seit ich 21 bin Schwester des Lichts.“

„Eine Kirche?“ Ich forderte Bina mit einer Geste auf weiter zu sprechen.

„Der Leuchtende Kreis, Orbizismus, eine neue Glaubensrichtung, die vor rund 50 Jahren gegründet wurde. Wir sind der Überzeugung, dass alles einen Kreislauf hat – die Menschen, die Natur, die Erde. Alles gehört zusammen und alles sollte geachtet werden.“

„Deswegen hast du auch so wenig Cyberware?“

„Stimmt“, lächelt Bina und nickt.

„Warum Streetworkerin?“

„Weil ich anderen helfen will.“

„Und warum der Orbizismus?“

„Weil mir damals eine Schwester geholfen hat und ich es für eine gute Sache halte.“

Eine Bewegung aus dem Augenwinkel lässt mich Richtung Eingang sehen. Da kommt Teddybär, wie Bina ihn gerne nennt.

Groß und breitschultrig, mit dunkelblonden Haaren, warmen Augen und in seiner dunkelblauen Polizeiuniform. Er klemmt sich die Schirmmütze unter den Cyberwarearm. Während er den Raum nach uns absucht, kämmt er sich mit einer Hand durch die kurzen Haare.

Und wieder einmal ein Loveinterest, der meine Schwärmerei für Uniformen bedient. Ich stütze meinen Kopf seufzend auf meiner Hand ab und genieße den Anblick.

Er entdeckt uns und macht sich auf den Weg. Seine Bewegungen sind weich, fließend. Niemand würde erahnen, dass ein Bein ebenfalls Cyberware ist.

„Hyou, Chicas! Musstet ihr lange warten?“

„Nö“, erwiderte ich, während Teddy neben Bina auf die Bank rutscht und ihr einen Kuss auf die Schläfe drückt.

„Du sollst dich vorstellen“, klärt Bina ihn auf.

„Sofort.“ Teddy schenkt mir ein entwaffnendes Lächeln und bestellt. Sein Interface blitzt kurz über seinen Augen auf, dann ist seine Aufmerksamkeit ganz bei mir.

„Ich soll mich vorstellen? Comprendido. Ich heiße Teddy Nandez, bin 29 Jahre alt und wohne seit zwei Jahren in Tibanwei.“

„Das ist dieser Stadtteil hier.“

„Exactemente.“

„Wo hast du vorher gewohnt?“

„Mal hier und mal da. Mein Vater war beim Militär, wir sind also einmal quer durch Europa und Asien gezogen. Haben oft am Arsch der Welt gelebt.“

„Daher also dein Farmboy-Charm“ wirft Bina amüsiert ein.

„Ich habe einen Farmboy-Charm?“ Unschuldiger hätte Teddys Miene nicht sein können.

„Hast du“, bestätige ich, „Warum Cop?“

„Weil es das einzig Sinnvolle war.“

 

​

2. Wie groß ist deine Familie?

​

Endlich kommen die bestellten Burger. Ich liebe diesen Diner jetzt schon. Vielleicht wird er mein zweites Zuhause.

Ich stelle die heutige Frage und sehe zu Teddy, der mir gegenüber sitzt. Diesmal in zivil in Shirt und Jogginghose.

„Ich habe nur noch meine Abuelos väterlicherseits und meine ältere Schwester.“ Er beißt genüsslich in seinen Burger.

„Wo sind deine Großeltern?“

„Vermutlich irgendwo an der Nordküste Norwegens unterwegs. Sie sind Nomaden, reisen von einem Ort zum anderen. Meine Hermana lebt in Europa, Paris und arbeitet dort für einen großen Konzern. Sie hat einen Schreibtisch in der Chefetage.“ Das erzählt Teddy nicht ohne Stolz.

„Was ist mit dir Bina?“ Meine Aufmerksamkeit wandert zu meiner Protagonistin. Sie sitzt neben Teddy und greift nach einer Pommes.

„Ich weiß nicht, ob meine Mutter noch lebt. Meinen Vater habe ich nie kennen gelernt. Familie? Ich denke, der Leuchtende Kreis, Jason und Melli kommen dem am nächsten. Ich kenne den Pater seit ich dort Schwester bin. Er ist ein enger Freund, hilfsbereit, hört geduldig zu und gibt gute Ratschläge.“

Teddy wischt sich die Hände an einer Serviette ab und legt Bina einen Arm um die Schultern.

„Jetzt hast du mich auch noch, Bichito.“ Teddy haucht ihr einen Kuss auf die Schläfe und entlockt ihr damit ein Grinsen.

„Ich nehme dich beim Wort, Teddybär.“

 

​

3. Was bedeutet dir Familie?

​

„Familie sind Menschen, die einen so akzeptieren wie man ist“, erklärt Bina und sieht mich mit ihren dunklen Augen an, „Meine Familie hilft mir, wenn ich Probleme habe, lacht mit mir, manchmal weint sie mit mir. Im gleichen Zug bin ich für sie da. Ich denke, das macht für mich Familie aus, auch wenn ich das erst im Leuchtenden Kreis kennen gelernt habe.“

„Ach, Bina“, seufzte ich, „So schwermütig bist du mir in den ersten Kapitel meiner Geschichte gar nicht vorgekommen.“

„Was heißt schwermütig? Manche Dinge weiß man besonders zu schätzen, wenn man sie nicht von Anfang an hat. Ich bin glücklich, so wie ich lebe. Das ein oder andere könnte einfacher sein, aber so ist das Leben.“

„Ich kann dir nur zustimmen, Bichito“, schaltet sich Teddy ein, „Die familia in die man hinein geboren wird, kann man sich nicht aussuchen. Die familia, mit der man später leben möchte schon. Meine padres waren streng, hatten hohe Erwartungen, verlangten Disziplin. Später beim Militär, in meinem Trupp… Wir haben aufeinander aufgepasst, waren füreinander da, haben getrauert, gekämpft und gefeiert. La familia te quiere y te aprecia tal y como eres*.“

* Die Familie liebt und schätzt dich so, wie du bist.

 

​

4. Wer war deine Bezugsperson als Kind?

​

„Meine Mutter war nicht gut darin, ein Kind groß zu ziehen. Sie war mehr mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigt. Ich denke, ich war vier oder fünf. Ich habe in einer Gasse gespielt. Dort begegnete mir zum ersten Mal eine Schwester. Ich habe den Kreis auf ihrer Stirn angestarrt. Der gleiche Kreis, der jetzt auf meiner Stirn eintätowiert ist. Das Symbol für eine Schwester. Sie hat mich angelächelt und mir etwas zu Essen zugesteckt. Es war ein einfaches, belegtes Brot. Aber es war das Beste, dass ich je gegessen habe.“ Bina grinst. „Ich bin ihr hinterher gelaufen, wie ein Hund. Habe ihr zugesehen, wie sie jedem Kind auf der Straße, jedem Obdachlosen etwas zu essen, einen Kaffee oder einen guten Rat gab. Selbst als Kind wusste ich, dass es etwas Gutes ist, was sie macht, etwas Wichtiges. Und die Dankbarkeit der Leute, es war überwältigend. Es war ein so schönes Gefühl. Von da an habe ich jeden Tag auf sie gewartet und sie kam – jeden einzelnen Tag.

Ich wurde älter, sie wurde älter. Irgendwann habe ich ihren Rucksack mit dem Essen und den Thermoskannen getragen. Sie gestützt, als sie unsicher lief. Aber sie hat es sich nicht nehmen lassen, jeden Tag die gleiche Route zu laufen. Es war selbstverständlich, dass ich irgendwann diesen Weg laufe, wenn sie es nicht mehr kann. Ich konnte gar nicht anders. Und genau das mache ich.“

„Ich beneide dich darum, dass dir dein Lebensweg von vornherein so klar war“, erwidere ich seufzend.

„Yo también“, lächelt Teddy und streicht Bina zärtliche über den Rücken. „Meine Bezugsperson war meine Momia. Aber sie konnte lange nicht so gut kochen wie meine Abuelita.“

„Omas kochen immer am besten“, bestätige ich nickend.

 

​

5. Welche ist deine glücklichste Kindheitserinnerung?

​

„Der Tag, an dem mein kleiner Bruder geboren wurde. Er hatte Pausbäckchen und im Schlaf immer gelächelt. Er war so ein hübsches, glückliches Baby. Ich habe mich um ihn gekümmert, ihm Milch gegeben und die Windeln gewechselt – wenn wir welche hatten. Das Schönste daran war, dass ich nicht mehr allein war, wenn meine Mutter weg war.“

„Wie alt warst du?“, will ich von Bina wissen.

„Jung. Es war, bevor ich die Schwester kennen gelernt habe. Er verschwand von einem Tag auf den anderen.“

„Ist er gestorben?“, hake ich vorsichtig nach. Bina schüttelt den Kopf.

„Ich denke nicht. Meine Mutter sagte zwar, hielt aber eine volle Einkaufstüte im Arm. Wir hatten kein Geld. Nie. Ich fragte damals nicht, woher sie das Geld dafür hatte. Heute frage ich mich das schon.“

Ich hole tief Luft. So langsam nimmt die Geschichte eine Tiefe an, die so nicht geplant war.

„Weißt du was“, beginne ich, „wir statten deiner Mutter irgendwann einen Besuch ab. Wenn du es nicht wissen willst, was damals passiert ist. Ich will es wissen.“

„Sofern sie noch lebt“, wirft Bina ein.

„Um diese Información kümmere ich mich“, erklärt Teddy. Als Polizist bekommt er leicht heraus, ob eine Person noch lebt und wo sie wohnt. Mal sehen, wie ich das alles in meine Geschichte ein flechte.

„Was war deine glücklichste Erinnerung, Teddy?“

„Oh, da gab es jede Menge. Vielleicht die, als ich die Haarfarbe vertauscht habe und meine ältere Hermana anstatt ihrem geliebten Lila, plötzlich grüne Haare hatte. Sie hat geschrien wie am Spieß.“ Teddy grinst breit. „Oder die, als mein Padre getrocknetes Heuschreckenpulver in seinem Kaffee hatte. Er hat es nie herausgefunden. Ich dachte es schmeckt widerlich, aber er fand den Café an diesem Morgen besonders gut.“

 

​

6. Was war dein liebstes Spielzeug und warum?

​

„Ein Stoffaffe“, grinst Bina, „weil ich mit ihm aufgewachsen bin, er mich getröstet hat und alle Abenteuer mit gemacht hat. Er liegt sogar heute noch in meinem Bett.“

„Das kann ich bestätigen!“ Teddy lacht auf. „Mein liebstes Spielzeug als Niño war ein steuerbares Flugzeug. Warum? Es war ein steuerbares Flugzeug! Es konnte so weit fliegen, dass ich es nicht mehr sah. Ich konnte die entlegensten Winkel entdecken und auf dem Steuerpanel sehen. Scheue Tiere, meine Mutter beim Wäschefalten, die junge Nachbarin beim umziehen…“ Teddy keucht auf. Vermutlich liegt es an Binas Ellbogen, der sich in seine Rippen bohrt. „Ich war 13, Bichito, da macht man so einen Unsinn."

"Dumm nur, dass ich dir heute auch noch so einen Quatsch zutraue."

"Niemals, Bichito! Ich habe es in der Steppe in der Nähe von Perm verloren. Meine Hermana musste mit mir den ganzen Nachmittag danach suchen.“

„Und, habt ihr es gefunden?“, will ich wissen.

„Nein, aber einen Sonnenbrand.“

 

​

7. Warst du gut in der Schule?

​

„Ich habe mich angestrengt“, erklärt Bina, „und ich war ganz gut. Auch dank der Hilfe der Schwester und der Möglichkeit jederzeit einen Rückzugsort in der Lichtstätte zu haben.

Jason hat die Stätte übernommen, da war ich 16. Er hat mir im Abschlussjahr Nachhilfe in Mathe gegeben und mir einen Ausbildungsplatz besorgt. Jetzt arbeite ich jeden Tag mit ihm und kann Menschen helfen. Ich bin sehr dankbar dafür.“

„In Mathe war ich ganz aceptable und in Sport und Chemie.“ Teddy kämmt sich durch die kurzen Strähnen. „Aber alle anderen Fächer waren mir zu lernintensiv. Es gab regelmäßig Standpauken von meinem Padre, Hausarrest und Nachhilfe. Immerhin, von unserer chica bonita von nebenan.“ Teddy grinst breit.

 

​

8. Wie war dein erster Kuss?

​

„Mein erster richtiger Kuss?“, hakt Bina nach. Ich nickte bekräftigend.

„Dein erster Kuss mit Schmetterlingen im Bauch und allem drum und dran.“

„Das war dann ein Junge aus meiner Klasse. Ich war 14 oder 15. Er war ein Jahr älter, hat die Klasse nochmal wiederholt. Seine Eltern hatten eine Werkstatt. Jetzt hat er den Laden übernommen. Er war nicht besonders klug, aber nett zu mir und mit einer coolen Lederjacke absolut mein Typ. Ich war total verknallt. Er hat mir das Motorrad seines Vaters gezeigt. Eine Harley. Er hat mir versprochen, mich mit auf eine Spritztour zu nehmen, sobald er sie fahren darf. Dann hat er mich geküsst.“ Ich kann Bina ansehen, dass da noch mehr war, aber sie schweigt grinsend. Teddy zieht seine Stirn in Falten und ich muss mich zusammenreißen, nicht mit den Augen zu rollen.

„Was ist mit dir, Teddy?“, bringe ich ihn auf andere Gedanken.

„Ihr werdet lachen, amigos“, beginnt er und massiert sich unbehaglich den Nacken. „Es war meine Cousine.“

 

​

9. Was ist dir bei deinen Freunden wichtig?

​

„Freunde und Familie sind bei mir ein und dasselbe“, erklärt Bina, „Ich schätze ihre Hilfsbereitschaft und ihre Ehrlichkeit.“

„Vor allem die von deinem Padre“, brummelt Teddy.

„Was hat er zu dir gesagt?“

„Nicht viel, Bichito. Es geht eher um das, was er zu dir gesagt hat. Euer Tempel ist nicht besonders schalldicht.“

„Es heißt Lichtstätte und er macht sich nur Sorgen. Du weißt, wie die meisten Cops sind.“

„Dass ich aber keiner von estos corrupto Cops bin, vor denen er dich warnt, scheint ihm egal zu sein.“

„Vielleicht“, unterbreche ich die beiden, „sagst du noch etwas zu der heuten Frage, Teddy?“

Teddy schnaubt missmutig aus. „Amigos sind füreinander da, sie bewahren mich vor Dummheiten und ich vertraue ihnen.“

 

​

10. Hast du eine/n beste/n Freund/in? Beschreibe sie/ihn.

​

„Habe ich und sie heißt Lizzi“, Bina grinst breit.

„Und was ist mit Jason und Melli?“, will ich wissen.

„Die sind Familie. Nicht, dass Lizzi nicht auch zu meiner Familie zählt. Aber Jason ist rund 30 Jahre älter als ich, er ist fürsorglich und väterlich. Melli ist wie eine jüngere Schwester für mich, was sie auch ist. Sie ist eine Schwester des Lichts und jünger. Aber Lizzi. Wenn ich etwas erleben, Spaß haben will, ist sie die Richtige dafür.“

„Alles klar, du musst sie mir unbedingt vorstellen!“

„Gerne doch.“

„Beschreib sie mir, Bina.“

„Hm… Lizzi ist immer auf meiner Seite. Wir haben schon einige Nächte heulend und Eis essend auf ihrem Sofa verbracht, weil ihre oder meine Beziehung in die Brüche ging. Sie bringt mich zum Lachen. Sie hat Sommersprossen und Dreadlocks. Und wenn sie hinter einem Steuer sitzt findet man Gott.“

„Äh…“ Ich hebe fragend die Augenbrauen.

„Sie fährt wie der Teufel. Egal ob du gläubig bist oder nicht, du fängst an zu beten“, lacht Bina.

„Buena madre de dios, dann hoffe ich, dass ich nie mit ihr im Auto sitze.“

Ich nicke und notiere mir auf meinem Block: Szene mit Teddy und Lizzi im Auto!

„Was ist mit dir Teddy?“

„Im Moment gibt es nur einige lose Freundschaften. Meinen besten Amigo habe ich im Krieg verloren.“

„Das tut mir leid, Teddy, magst du uns etwas über ihn erzählen?“

„Eigentlich nur, dass er ein guter Compadre war. Nur dank ihm bin ich noch da. Bei unserem letzten gemeinsamen Einsatz habe ich einen Arm und ein Bein verloren, er sein Leben.“

 

​

11. Bist du optimistisch/realistisch/pessimistisch und warum?

​

„Ich bin Optimist“, bringt Bina es auf den Punkt.

„Warum?“

„Weil ich an das Gute im Menschen glaube. Sonst wäre ich eindeutig falsch als Schwester.“

„Teddy?“, will ich wissen.

„Realista, denke ich. Weil ich die guten Seiten der Menschen kenne, aber auch die abgrundtief schlechten.“

 

​

12. Welche schlechte Angewohnheit möchtest du gerne loswerden?

​

„Schlechte Angewohnheiten? Da habe ich jede Menge“, lacht Bina, „Ich vernachlässige mein Zuhause, weil ich ständig unterwegs bin. Ich koche nicht und ernähre mich bloß aus den Automaten. Ich verrenne mich schnell in Dinge und gehe manchmal zu hohe Risiken ein.“

„Ich nenne es verrückt, Bichito“, brummelt Teddy, „Oder wie soll man es sonst nennen, wenn du dich vor einen Junkie mit einer geladenen Waffe stellst! Loco!“

„Ich wollte ihm helfen! Aber lass gut sein. Das haben wir ausdiskutiert. Die Angewohnheit sollte ich vielleicht irgendwann ablegen.“

„Du bist dran, Teddy“, fordere ich ihn auf.

„Ich bin un poquito kontrollsüchtig. Auf die könnte ich gerne verzichten. Ansonsten gehe manche Dinge zu schnell an.“

„Ich nenne es aufdringlich, Teddybär“, grinst Bina, „aber damit kann ich umgehen.“

Teddy seufzt tief: „Zögern und zaudern kann man, wenn man tot ist, Bichito.“

 

​

13. Für was hast du kein Verständnis?

​

„Ich versuche viele Menschen zu verstehen und sie nicht zu verurteilen“, erklärt Bina, „Kein Mensch kommt böse auf die Welt. Erst das Leben und die Verzweiflung machen uns dazu. Aber für Ignoranz und Habgier habe ich kein Verständnis. Weil sie der Grund für sehr viel Leid in der Welt sind.“

Teddy nickt nachdenklich: „Machtgier und Egoismus. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn nicht jeder an sich denken würde und sich die geldgeilen Konzernpendejos nicht die Taschen auf Kosten der restlichen Bevölkerung vollstopfen würden.“

 

​

14. Bist du abergläubisch?

​

„Nein“, Bina lacht, „ganz sicher nicht. Ich glaube an das Gute in den Menschen, aber nicht an einen Gott, der uns alle rettet oder an eine schwarze Katze, die Unglück bringt.“

„Was ist mit dir Teddy?“

Teddy kämmt sich verlegen durch die Haare: „Oh bien… Das mit der schwarzen Katze ist schon nicht ohne oder Montag der 13. Ich würde auch nie meine Schirmmütze aufs Bett legen, das bringt Unglück. Und es steht ein Kaktus auf meiner Fensterbank. Der hält das Böse ab. Mucha mierda.“

 

​

15. Gehst du gerne aus und wenn ja, wohin?

​

„Ich gehe gerne tanzen oder was trinken“, nickt Bina, „Komme aber leider zu selten dazu. Es gibt einen Nachtclub hier im Bezirk, das Beef. Es befindet sich in einer alten Schlachthalle. Hat die beste Musik der ganzen Stadt.“

„Und Teddy, gehst du auch gerne tanzen?“

„Claro, ich habe ritmo im Blut!“

 

​

16. Wie geduldig bist du?

​

„Ich bin total geduldig“, nickt Bina.

„Da kenne ich dich aber anders, Bichito“, grinst Teddy.

„Naja, manchmal bin ich auch ungeduldig. Genau wie du. Es ging aber auch um etwas richtig Schönes.“

 

​

17. Was macht dich glücklich?

​

„Wenn ich Menschen helfen kann. Wenn ich ihnen eine kleine Freude bereiten kann. Das macht mich glücklich.“ Bina lächelt, „Und Schokoladenkuchen.“

„Bei den Menschen kann ich dir zustimmen, Bichito, aber dein Kuchen kann nicht mit der Crema Catalana meiner Abuelita mithalten. Einfach himmlisch!“

 

​

18. Sagst du immer, was du denkst?

​

„Meistens, ich verpacke es nur oft sehr diplomatisch“, erklärt Bina, „Es hilft niemandem, wenn ich die Leute in Watte packe, aber ich darf sie auch nicht vor den Kopf stoßen.“

„Oft behalte ich meine Gedanken für mich, Amigos. Lernt man beim Militär.“

„Klappe halten und Befehle befolgen“, ergänze ich nickend.

 

​

19. Was kannst du nicht wegwerfen?

​

„Pflanzen. Ich sammle sogar die halb toten und vertrockneten Pflanzen aus den Mülltonnen und pflege sie. Deswegen ist mein Balkon auch übervoll.“

„Und bald gibt es die Mandarine von deinem Bäumchen zu essen“, ergänze ich. „Was ist mit dir Teddy?“

„Die Marken von meinen gefallenen Kameraden. Diejenigen, die keine Angehörigen mehr hatten. Wir waren ihre Familie. Deswegen bewahre ich sie auf.“

 

​

20. Hast du Angst vor dem Tod?

​

Ein wenig vielleicht. Das Leben kann so schnell vorbei sein. Da versucht man jeden Moment zu genießen. Manchmal vergisst man das.“

„Stimmt“, bestätigte ich. „Was ist mit dir Teddy?“

„Ich habe keine Angst vor dem Tod, nur vor der Art und dem Schmerz.“

 

​

21. Bist du das geworden, was du früher werden wolltest?

​

„Ich wollte Schauspielerin werden“, erklärt Bina. „Im Rampenlicht stehen, Interviews führen und schöne Kleider tragen. Aber dann wurde ich älter und dieser Schein und diese Oberflächlichkeit waren nicht mehr wichtig.“

„Als Nino wollte ich Cowboy werden“, grinst Teddy. „Ich habe nur keine Stelle gefunden. Jetzt bin ich Cop. Ist irgendwie ähnlich… Manchmal auch zu ähnlich.“

 

​

22. Was magst du an deiner Arbeit? Was magst du nicht daran?

​

„Jeder Tag ist anders“, beginnt Bina. „Ich weiß nie, was auf mich zu kommt, welche Herausforderungen auf mich warten. Das mag ich am meisten. Ich lerne viele Leute kennen und manchmal verliere ich welche. Das ist das Schlimmste.“

„Wie deine Freundin?“, hake ich nach.

„Genau, aber ich finde schon noch heraus, was passiert ist. Oder Teddybär?“

„Claro, Bichito. Wir machen das zusammen. Ich mag in meinem Job am meisten, dass ich Gefahren abwenden kann, Leute schützen kann. Wenn es mir nicht gelingt oder ich zu spät bin, dann ist das Mierda.“

 

​

23. Wie endete deine letzte Beziehung?

​

„Ohje... Muss das sein?“ Bina verzieht das Gesicht.

„Du musst nicht ins Detail gehen.“

„Er war süchtig und ich wusste es nicht. Ich habe es auch lange nicht bemerkt. Er hat Geld von mir geliehen, dann geklaut. Ich habe Schluss gemacht, als ich es heraus fand. Ein paar Tage später wurde in meine Wohnung eingebrochen. Ich bin sicher, dass er das war.“

„Hast du die Cops gerufen, Bichito?“

„Nein, er hatte andere Probleme. Vielleicht hätte ich ihm helfen können, aber… Keine Beziehung mit Junkies. Niemals. Dank meiner Mutter weiße ich, dass man ihnen nicht helfen kann, wenn sie es nicht wollen. Versprechen geben, die sie nicht halten. Ihnen nur eines wichtig ist. Sie ziehen einen mit runter, bis man selbst ertrinkt.“

In dieser Hinsicht war Bina ein gebranntes Kind. Ich nicke verstehend und sehe auffordern zu Teddy.

„Es verlief sich im Sand.“

„Das war`s?“, hake ich nach.

„Eso fue todo. Ich war auf einem Einsatz und auf dem nächsten und auf dem nächsten. Bin nicht der Typ für Fernbeziehungen und sie war es auch nicht.“

 

​

24. Wen hast du zuletzt geküsst?

​

Bina und Teddy sehen sich an und grinsen.

Ich denke, das ist Antwort genug.

 

​

25. Was aus deiner Vergangenheit bereust du?

​

„Ich bin gegangen, ohne mich von meiner Mutter zu verabschieden. Ohne ihr überhaupt zu sagen, dass ich gehe.“ Bina verstummt.

„Dann besuch sie doch“, schlage ich vor.

„Vielleicht…“

„Einen Versuch ist es immer wert, Bichito. Ich habe viele Dummheiten gemacht. Eine davon hat meinem besten Compadre das Leben gekostet. Das bereue ich zutiefst. Ich war zu selbstsicher und zu leichtsinnig. Ich dachte, wir hätten alles im Griff und dann ist mir alles um die Ohren geflogen. Im wahrsten Sinne.“

 

​

26. Auf was bist du stolz?

​

„Ich habe all das, was ich als Kind nicht hatte. Eine saubere Wohnung, immer Esse und ein erfülltes Leben mit tollen Menschen um mich herum. Auch wenn ich das nicht allein geschafft habe, bin ich doch ein bisschen stolz auf mich.“ Bina strahlt.

„Das kannst du auch sein“, stimme ich zu und sehe auffordernd zu Teddy.

„Naja… ich bin immer noch dabei die Scherben aufzusammeln. Im Moment bin ich nicht einmal stolz darauf, am Leben zu sein.“

 

​

27. Wann hast du zuletzt etwas zum ersten Mal getan?

​

„Vor einigen Wochen.“ Bina grinst. „Ich war mit Lizzi Karaoke singen. Hat Spaß gemacht.“

„Dann sollten wir das auch machen, Bichito. Ich würde dich gerne singen hören.“

„Oh, lieber nicht. Ohne Lizzi hätten sie mich von der Bühne geholt.“

„Wann war dein letztes erstes Mal?“, frage ich Teddy.

„In den letzten beiden Jahren gab es viele erste Male. Gestern zum Beispiel habe ich eine Zelle putzen dürfen. Nach dem Junkie, der sich übergeben hat und dem Penner, der in eine Ecke ge…“

„Ok“, unterbreche ich Teddy eilig, „wir können es uns lebhaft vorstellen.“

„An Vollmond drehen alle durch. Dazu noch das illegale Straßenrennen mit dem Unfall. Wir waren total überfüllt. Die Zellen sind zwar in einem abgeriegelten Bereich. Wir mussten aber ständig rein und raus und es hat gestunken.“

„Bei euch möchte ich auch nicht arbeiten“, erwidere ich mitleidig. Teddy zuckt nur mit der Schulter.

 

​

28. Für was hättest du gerne mehr Zeit?

​

„Für einen Garten, aber ich habe nicht einmal einen Garten“, lacht Bina. „In der Stadt ein unmögliches Unterfangen.“

„Dann musst du eben raus aus der Stadt“, schlage ich vor.

„Auf keinen Fall! Ich liebe die Stadt, den Trubel, den Lärm, die vielen Leute. Außerdem könnte ich in den Badlands nicht meiner Arbeit nachgehen. Zu wenig Leute.“

„Aber auch genügend, die deine Hilfe brauchen könnten, Bichito.“

„Die Stadt ist mir doch lieber.“

„Für was hättest du gerne mehr Zeit?“, will ich von Teddy wissen.

„Für nichts.“

„Für gar nichts?“

„No. Hätte ich mehr Zeit, müsste ich mehr nachdenken und im Moment will ich nicht nachdenken.“

 

​

29. Was macht dein Zuhause zu deinem Zuhause?

​

„Meine Pflanzen und mein kuscheliges Bett“, erklärt Bina.

„Und dein Stoffaffe, Bichito.“

„Stimmt!“

„Dann die Nachbarn, der Flur in dem immer eine Lampe flackert, der defekte Kaffeeautomat neben dem Aufzug. Der leckere, pakistanische Imbiss unten im Eingang. Die Leute in meinem Viertel und meine Familie. All das gehört dazu.“

„Teddy?“

„Die Menschen. Sie machen ein Zuhause zu einem Zuhause. Das Gebäude besteht nur aus Steinen, Mörtel und Farbe.“

„Du lebst allein in deiner Wohnung, oder?“, hake ich nach.

„Exactamente. Ich sagte auch nicht, dass meine Wohnung mein Zuhause ist. Es ist nur ein Ort, an dem ich manchmal schlafe. Im Moment übernachte ich aber viel lieber bei Bina.“

„Schräg“, Bina macht große Augen, „ich glaube, du hast noch nie meinen Namen ausgesprochen. Hört sich irgendwie falsch an.“

„No problema, Bichito“, Teddy grinst, „das lässt sich leicht ändern.“

 

​

30. Welches Ziel möchtest du unbedingt erreichen?

​

„Im Moment? Herausfinden, was mit Lucy passiert ist. Warum sie tot ist.“ Bina presst schnaubend die Lippen aufeinander.

„Und in deinem Leben? Gibt es da ein Ziel, dass du erreichen möchtest? Heiraten? Kinder?“, will ich wissen.

Bina schüttelt den Kopf. „In der heutigen Zeit Kinder? Lieber nicht. Ich meine, ich mag Kinder. Ich kümmere mich um viele Kinder auf der Straße. Ausgesetzte Kinder, Kinder die von Zuhause weggelaufen sind oder deren Eltern tot sind. Es gibt so viel Armut und Leid und das System ist so menschenfeindlich.

Unser Planet ist kaputt. Es regnet oft so wenig, dass es tagelang kein Wasser gibt. Die Hitzewellen im Sommer sind so heiß, dass der Asphalt schmilzt. Unwetter und Stürme, oft ohne Regen. Aber er fegt den Sand des Umlands durch die Straßen, bis ins Zentrum. Überall ist der rote Staub, bedeckt alles, beschädigt die Technik, knirscht in den Türen. Wenn es im Winter trüb wird, sind die Wolkendecken so schwer, dass die Abgase durch die Straßen wabern, wie Nebel. Man kann kaum atmen. Ich denke nicht, dass ich ein Kind in diese Welt setzen möchte.“

„Kann ich verstehen“, murmle ich nickend. „Teddy?“

„Hm… Früher, vor dem Krieg, hätte ich gerne Kinder gehabt. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher. Im Moment möchte ich Bina helfen die Selbstmorde aufzuklären, die vermutlich keine Selbstmorde sind. Alles weitere werden wir sehen.“

 

​

 

bottom of page