Die Kinder der Schöpfer
30 Fragen an meine beiden Protagonisten
Kiran und Maluka - kurz Luca - Moneaux
Tag 1: Stell dich bitte mit maximal drei Sätzen vor:
Zusätzlich hast du 3 Wörter, um dich selbst zu beschreiben.
Es war angenehm warm und roch nach frisch gemähtem Gras, als ich mit dem Fingerknöchel gegen die offen stehende Eingangstüre schlug.
„Klopf, klopf“, zögernd lehnte ich mich vor und begutachtete die abgenutzte Küchenzeile aus altem, beinahe schon antikem Holz.
„Bin hier“, ertönte es aus dem kleinen, verbauten Häuschen. Keine Sekunde später bog Kiran um die Ecke.
„Komm rein!“ Er winkte mir mit beiden Händen zu, um mich zu begrüßen und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass er offenbar in einem Haufen Erde gebuddelt hatte. In einer Hand hielt er ein Bündel Grünzeug und beugte sich damit hastig über die Spüle der Küche.
„Setz dich, ich mache uns Tee.“
„Ist Luca nicht da?“, fragte ich und betrat die kleine, aber gemütlich eingerichtete Wohnküche. Ein mehrmals geflickter Sessel stand in einer Ecke, zusammen mit einem Fußschemel und einer filigranen Leselampe.
„Sie hat noch dieses Bewegungs-Ding im Garten.“
„Das nennt man Sport“, erklärte ich grinsend. Kiran lotste mich mit einem beladenen Tablett zu der Sitzgruppe, die mich stark an den Rokokostil erinnerte. Nur, dass der Stoff in einem kühlen Grau, ohne verspieltes Muster gehalten war. Dafür waren die Stühle bequem.
Kiran verteilte die Tassen.
„Melisse“, erklärte er stolz und schenkte ein. Ein frischer, zitroniger Duft erfüllte den Raum.
„Also, welche Fragen soll ich beantworten?“ Kiran stellte die Kanne ab und spähte zu mir herüber.
Ich zückte Stift und Papier aus meinem Rucksack. Mir entging nicht, wie Kiran den Block fasziniert begutachtete, sich jedoch nicht zu fragen traute, es berühren zu dürfen.
In seiner Zeit sind Bäume wertvoller, als Leben. Niemand würde einen Baum wegen einem Wegwerfprodukt wie Papier fällen.
Mit einer zügigen Bewegung reiße ich ein Blatt aus dem Block und reiche es Kiran über den Tisch, der es ehrfürchtig entgegen nahm.
„Es ist leicht.“
„Und praktisch“, zumindest in meiner Zeit.
„Kommen wir zu den Fragen…“ Ich las sie ihm vor, denn Kiran war nie auf einer Schule, konnte also weder lesen noch schreiben. Obwohl – und das ist noch ein Geheimnis – Luca ihm das Lesen beibringen wird.
„Ok.“ Kiran räusperte sich, legte das Blatt sorgfältig beiseite und überlegte gründlich, bevor er antwortete: „Ich bin Kiran, komme aus der Unterstadt und bin ein Cybrid. Ich habe die fragwürdige Neigung mich in Schwierigkeiten zu bringen, schaffe es aber immer einen Ausweg zu finden. Waren das drei?“
„Einer noch.“ Ich nickte auffordernd und beobachtete, wie Kirans goldfarbene Augen mit den schmalen Katzenpupillen abschweiften.
„Ich bin dankbar für diese Möglichkeit in der Oberstadt zu arbeiten und ich weiß jetzt schon, dass ich es versauen werde.“
„Und jetzt noch drei Worte, die dich beschreiben.“
„Erfindungsreich, anpassungsfähig…“
„Und klug“, erklang Luca´s Stimme aus dem schmalen Flur, ehe sie den Raum betrat und sich schnaufend in den Sessel fallen ließ.
„Wie man es sieht“, murmelte Kiran in seinen Dreitagebart, füllte die dritte Tasse und reichte sie Luca.
„Er ist schlauer, als gut für ihn ist“, zwinkerte Luca und nahm Kiran die dampfende Tasse dankend ab.
„Schön, dass du da bist. Beantwortest du mir auch gleich die Fragen?“ War eigentlich nicht geplant, aber wenn sie schon hier ist.
„Klar.“ Luca nippte an dem Tee. „Ich bin Maluka Moneaux– aber alle nennen mich Luca – bin ein Mensch, wohne seit meiner Geburt vor 32 Zyklen in der Oberstadt und meine ID lautet: MH-18-08-4062-56698. Noch vor meiner Geburt stand fest, dass ich Medizin studieren soll, was ich auch tat, und leite mittlerweile die medizinische Einrichtung der Bevölkerungsregulierungsbehörde für die Unterstadt. Vor ein paar Wochen wurde ich von der BRB zu einer Gebenden berufen – deswegen auch Kiran als mein Beistand – und bringe in ein paar Monaten hoffentlich ein genetisch perfektes, gesundes Baby zur Welt, bevor ich wieder arbeiten gehe.“
Der leicht deprimierte Tonfall in ihrer Stimme entging nicht nur mit. Kiran presste kurz die Lippen zusammen, als müsse er sich eine Aufmunterung verkneifen, stand auf und verkündete stattdessen:
„Ich backe jetzt Kekse.“ Damit verschwand er hinter der Küchenzeile und Luca warf mir einem Blick zu. Ein amüsierter Zug umspielte ihre Lippen und sie kämmte sich eine der beinahe schneeweißen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
„Er weiß eben, wie er mich aufmuntert“, flüsterte sie mir zu und nippte schmunzelnd an ihrer Tasse Tee.
Tag 2: Wo und in welcher Zeit lebst du?
Ist dieser Ort fiktiv oder real?
„Die Unterstadt befinden sich, wie der Name schon sagt, unterhalb der Oberstadt“, erläutert Kiran, „Es sind 423 Ebenen, die von unseren Vorfahren in den Stein geschlagen wurden. Es ist kalt dort unten, feucht, dunkel und der modrige Geruch von Schimmeln ist kaum wegzudenken. Ich musste ständig durchatmen, als ich die Oberstadt betreten habe. Die Luft hier ist so sauber und sie riecht gut.“ Kiran schmunzelt und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „In der Unterstadt gab es viele Fabriken, die mittlerweile verfallen sind. Die Decken zwischen den Ebenen sind teilweise zusammengebrochen. Daneben gibt es noch unzählige Wohneinheiten für uns, Verteilungsstationen für Essensrationen und Wasser und Kontrollschleusen. Die Unterstadt beherbergt die Cybriden. Menschen sollten sie nicht betreten. Selbst die Polizisten wagen sich kaum tiefer, als auf Ebene 1.
Ob der Ort real ist?“, eine kurze Pause entstand, „für uns schon.“
Dann linst Kiran zu Luca, die sich seit gestern offenbar kaum aus ihrem Sessel bewegt hat.
„In der Oberstadt“, begann Luca, die die stumme Aufforderung sofort begriffen hatte, „befindet sich die grüne Lunge der beiden Städte. Unser mehrere hundert Zyklen alter Wald, der rund 80% der Oberfläche bedeckt. In dessen Mitte befindet sich die eigentliche Stadt, mit Hochhäusern, die durch Brücken in jedem 25 Stockwerk verbunden sind. Von hier aus werden beide Städte mit Sauerstoff und Nahrung, die in den Hochhäusern gezüchtet wird, versorgt. Sämtliche Behörden, haben ihren Sitz in der Oberstadt, medizinische Einrichtungen, Stromverteilung. Die Kuppel, die sich über die gesamte Stadt spannt, schütz uns vor der Außenwelt und versorgt uns mit Solarenergie.
Aktuell befinden wir uns im Zyklus 4094. Welches… Jahr das nach der alten Zeitrechnung ist, kann ich dir nicht sagen.“
Tag 3: Spielt der Schauplatz eine entscheidende Rolle für deine Geschichte?
Wenn ja, welche?
„Natürlich ist der Schauplatz wichtig“, versichert Kiran nachdrücklich, „Wir leben seit unzähligen Generationen innerhalb dieser beiden Städte. Niemand kann die Außenwelt betreten. Die dicken Steinmauern und die Kuppel halten uns hier gefangen. Und die Menschen“, Kirans Blick huscht zu Luca, die heute zur Abwechslung mit uns am Tisch sitzt. Sie nickt kaum merklich und führt Kirans Gedanken weiter: „Den Cybriden wird absichtlich Wissen und Medizin vorenthalten. Die Menschen versuchen sie zu kontrollieren – was ihnen mehr und mehr misslingt. Wir sind abhängig voneinander, doch wir sehen einander als Gegner, statt als Freunde.
Trotz der fortschrittlichen Technologie oder gerade deswegen, sind die Geburtenraten in den vergangenen Zyklen stark zurückgegangen, während sie bei den Cybriden stieg. Wir haben zu sehr in den biologischen Ablauf eingegriffen, unsere DNS zu sehr manipuliert.
Zudem haben wir immer öfter Energieversorgungseinbrüche. Die Lebensmittelfarmen kämpfen mit Krankheitserregern gegen die es keine Mittel gibt. Die Mehrzahl der Recyclingfabriken in der Unterstadt sind zerfallen und das, was noch übrig ist, wir mit hohem Materialverlust recycelt. Wenn ein wichtiges Gerät ausfällt, kann es nicht repariert werden, weil der Rohstoff fehlt. Die gesamte Stadt ist ein Pulverfass. Irgendwann wird alles zusammenbrechen und niemand von uns kann weg. Ich denke, dass es zu deiner Zeit kaum etwas vergleichbares gibt.“
„Doch“, erwidere ich ernst, „wir nenne es Klimaerwärmung.“
Tag 4: Denkst du, dein Autor könnte deine Geschichte
an einem anderen Schauplatz spielen lassen?
Wie würde das die Geschichte verändern?
„Ich denke nicht.“ Kiran schüttelte sacht den Kopf. „Wenn die Geschichte an einem anderen Ort spielen würde, dann wären wir nicht so stark voneinander abhängig. Die Menschen hätten nicht solche furchtbaren und weitreichenden Entscheidungen getroffen. Die Cybriden könnten einfach gehen. Manche versuchen das sogar. Durch die Deckeneinbrüche wurden Höhlen freigelegt.“
„Dort draußen ist aber nichts“, warf Luca ernst ein und griff nach einem der Kekse vor sich.
„Sagen die Menschen“, erwiderte Kiran zweifelnd.
„Sagt die Vernunft. Eine Atmosphäre baut sich nicht wieder auf, wenn sie sich erst einmal aufgelöst hat. Jeder der es versucht hat und tatsächlich einen Weg nach draußen findet ist tot, bevor er die Oberfläche überhaupt erreicht. Das ist Selbstmord.“
„Wie du meinst, Ahdaari“, grummelte Kiran, stand auf und griff nach einem Rucksack in der Nähe der Eingangstüre. „Ich wollte noch in die Lebensmittelausgabe.“ Dann verschwand er aus dem kleinen Häuschen und Luca stand auf.
„Bin gleich wieder da,“ murmelte sie an mich gewandt und huschte ebenfalls durch die Eingangstüre. „Kiran…“
„Du weißt es nicht“, kam es leise von Kiran durch die offen stehende Türe, „Du warst nicht außerhalb des Schildes. Du kannst es nicht wissen. Niemand kann das.“
„Aber die Regierung…“
„Und wenn sie lügen?“
„Wieso sollten sie?“, wollte Luca wissen.
„Die Menschen belügen uns. Wieso sollte eure Regierung nicht auch euch belügen?“
Tag 5: Gibt es eine Besonderheit an deinem Schauplatz? Wenn ja, welche?
„Die Unterstadt vielleicht?“, schlug Kiran vor, ohne von seiner Arbeit hinter dem Küchentresen aufzusehen.
„Sie hat über 250 Ebenen.“ Luca saß diesmal mir gegenüber und rührte mit einem Löffel etwas mutlos in ihrem Tee.
„Oder der Jahrtausende alte Wald?“Mein Blick huschte zu Kiran, der zwar nickte, aber ansonsten kein Wort verlor. Luca atmete schnaubend aus. Offenbar hatte die gestrige Diskussion zwischen den Beiden ihre Spuren hinterlassen. Anstatt sich auszusprechen verfielen beide in kühles Schweigen.
Mehr war nicht mehr aus ihnen heraus zu bekommen. Mal sehen, ob sie morgen etwas gesprächiger waren.
Tag 6: Beschreibe deinen liebsten Schauplatz mit drei Stichworten.
Welche Gefühle verbindest du mit dem Ort?
Heute bin ich zu früh hier. Wir sitzen an der hinteren Eingangstüre zum Innenhof, der nur so vor Blumenbeeten überquillt, und warten auf Luca.
In der Mitte des malerisch angelegten kleinen Platzes beendet Luca gerade, wie die anderen werdenden Mamas, ihre täglichen Bewegungsübungen.
„Mein Lieblingsplatz sind die unterirdischen Höhlen.“ Kiran vergisst, bei dem noch bevorstehenden Ereignis, sogar seine selbst auferlegte Zurückhaltung und lächelt breit. So breit, dass seine spitzen Eckzähne zum Vorschein kommen, die neben seinen Augen ein unverkennbares Indiz für die tierische DNA in seinem Körper sind. „Es gibt dort unten Kristalle die Leuchten und die Höhlendecke wie einen Sternenhimmel aussehen lassen. Jedenfalls stelle ich mir so einen Himmel vor.“
„Beschreibe mir den Ort mit drei Worten“, fordere ich ihn auf.
„Magie.“ Kiran strahlt, „Freiheit“, ergänzt er, „und Liebe.“ Das letzte Wort und der unablässige Blick auf Luca, erklärt dann auch Kirans Gefühle, die er mit diesem Ort verbindet.
„Habt ihr euch wieder vertragen?“, hake ich vorsichtig nach und Kiran nickt träge.
„Es ist schwierig, vor allem hier. Vielleicht hättest du uns in der Unterstadt besuchen sollen.“
„Dir ist schon aufgefallen, dass ich ein Mensch bin. Ich habe nicht vor, nur wegen dieser Challenge mein Leben aufs Spiel zu setzen.“
Diesmal sieht Kiran mich an. „Aber du schickst Luca dort runter.“
„Und du passt auf sie auf, oder nicht?“
Kiran nickt, steht auf und lässt Luca vorbei.
„Welche Frage ist es heute?“, will Luca schnaufend wissen und erklimmt die wenigen Stufen ins Wohnhaus. Ich folge ihr, nicht ohne den herrischen, teilweise sogar beleidigenden Kommentaren der anderen Frauen an ihre ihnen zugeteilten Cybriden zu bemerken.
Luca dagegen steuerte direkt die Küche an und schenkt sich ein Glas Wasser ein, trinkt einige Schlucke und lehnt sich lächelnd gegen den Tresen.
Ich wiederhole die Frage.
„Das Dach des Wohngebäudes in dem ich mit meiner Großmutter wohne“, entscheidet Luca, „Der Ausblick ist phänomenal. Meine drei Worte dafür sind: Stille, Abgeschiedenheit, Durchatmen.
Ich war oft dort oben als Kind. Die Wohneinheit ist klein, meine Großmutter war viel arbeiten, mein Bruder ist nach wie vor eine Nervensäge. Die Stadt ist großartig, aber es gibt sehr viele Regeln, Ver- und Gebote, Pflichten. Man wird gerade als Kind davon erdrückt. Für einen Moment konnte ich nur ich selbst sein und das hat genügt. Es war erleichternd.“
Tag 7: Gibt es Orte, die du gar nicht magst?
Wenn ja, warum ist das so?
„Die Recyclingfabrik in der Unterstadt, in der ich die vergangenen Zyklen gearbeitet habe“, bringt Kiran es zügig auf den Punkt. Wir lehnen beide an der kleinen Kochinsel, jeweils mit einem Glas Wasser in der Hand. „Es ist laut, eng, es stinkt und Arbeitsunfälle sind an der Tagesordnung. Ein Wunder, dass ich noch keine Körperteile verloren habe. Was für ein Loch.“
„Das erklärt, warum du dir einen Nebenverdienst gesucht hast“, kommt es von Luca, die zur Abwechslung hinter dem Küchentresen steht und Gemüse schneidet. Sie sagte irgendetwas davon, dass sie Großmamas Eintopf machen wollte - den mit Mehlwürmern. Und jeder der jetzt die Nase rümpft, die sind ganz lecker und die einzige tierische Eiweißquelle in dieser Welt.
„Den Nebenverdienst habe ich mir aus anderen Gründen gesucht“, erwidert Kiran schulterzuckend, „erschien eine Zeitlang ein guter Weg, dem größten Morast dort unten zu entkommen und möglicherweise eine Gelegenheit in die Oberstadt zu kommen. Man schuldet nur selten einem Oberstadtpolizisten etwas und kann ihn um einen Gefallen…“ Unvermittelt zuckt Kiran zusammen, das halbvolle Glas kracht auf den Steinboden und Wasser und Splitter springen in sämtliche Richtungen.
„Verrostetes Kabel, ich sagte doch, du sollst den SAB nicht erhöhen“, schimpft Luca, drückt sich auf den stark blutenden Schnitt an ihrer Hand ein Geschirrtuch und hetzt zu dem kleinen Kasten direkt neben der Eingangstüre. In dem modernen Erste-Hilfe-Schränkchen kramt Luca nach dem Hautregenerator.
„Ist nicht so schlimm“, erwidert Kiran gepresst, „muss schließlich auch die Entbindung aushalten.“
„Und wehe du drehst das SAB höher als 50%“, brummt Luca, schiebt das mittlerweile blutige Geschirrtuch zur Seite und fährt mit dem kleinen stiftähnlichen Gerät geübt über die Schnittwunde. Ich kann den Knochen in dem ganzen Blut sehen und mir wird leicht übel, während Kiran keuchend vor mir in die Hocke sinkt.
„Ist gleich besser“, versichert Luca und so langsam erkenne ich anstatt des blutigen Schnitts wieder rosa Haut.
„Ich räume den Scherbenhaufen weg“, murmelt Kiran, stemmt sich auf und verschwindet in einem der hinteren Zimmer, während Luca das Gerät wieder sorgfältig verstaut.
Schnaubend wirft sie das blutige Küchentuch auf den Tresen, stützt sich mit beiden Händen ab und sieht mich an.
„Ich hasse meine Arbeitsstelle, weil ich dort keine Leben rette, sondern sie nehme. Die Bevölkerungsregulierungsbehörde will nicht, dass sich Cybriden unkontrolliert fortpflanzen. Sie waren mehrere Dekaden lang steril. Aber jetzt… Ich nehme ihnen ihre Kinder weg. Ich töte sie! Und jetzt soll ich ein genetisch perfektes Kind bekommen und muss nicht einmal die Schmerzen dafür aushalten. Das ist alles nicht richtig!“ Luca atmet stockend aus und verstummt, als Kiran den Raum mit einer Kehrschaufel und einem Eimer betritt, um die Scherben zu beseitigen.
Für einen Moment schweigen alle.
„Du solltest so etwas nicht sagen. Dafür kann man entfernt werden“, erwidert Kiran ernst und kümmert sich anschließend um das Chaos auf dem Boden. Ich höre Luca abermals missbilligend schnauben.
„Ich weiß…“
Tag 8: Was würdest du in deiner Welt gerne verändern,
wenn dein Autor dich lassen würde?
„Außer dem Offensichtlichen?“ Um Zeit zu schinden, stochert Kiran mit dem Löffeln in seinem Essen. „Ich wäre gerne ein Mensch.“
„Du bist ein Mensch – zu einem großen Teil“, gebe ich zu.
„Kann ich dann die andere Hälfte zurück geben?“
„Es wird alles Sinn ergeben, versprochen.“ Ich zwinkere ihm aufmunternd zu und sehe Luca auffordernd an.
„Wenn ich etwas ändern könnte, dann die gesellschaftliche Akzeptanz von Freundschaft oder… „Luca zögert kurz, „oder mehr, zwischen Menschen und Cybriden.“
„In der Oberstadt verstößt man gegen ein Gesetz“, erläutert Kiran, „In der Unterstadt ist man nicht weniger Lebensmüde.“
„Das macht die Geschichte doch erst spannend.“ Auf meinen Kommentar hin, ernte ich skeptische Blicke. Zugegeben, die beiden müssen meine verqueren Ideen ausbaden.
„Ich verspreche euch, es ergibt bald alles Sinn und ich bin ein großer Fan von Happy-Ends. Außerdem will ich mit dieser Geschichte deutlich machen, wie absurd es ist jemanden abzulehnen, nur weil er eine andere Hautfarbe hat, oder an einem anderen Ort geboren wurde, als man selbst. Oder weil er eine andere Sprache spricht oder an einen anderen Gott glaubt. Es ist absurd, weil die Menschen in meiner Zeit alle gleich sind und doch nur die Unterschiede sehen. Bei euch beiden sieht man die Unterschiede und doch ist nichts so, wie es scheint und diese Diskrepanz zwischen Menschen und Cybriden ist einfach nur dumm.“
„Dann hoffe ich, dass wir das lernen“, murmelt Luca nachdenklich.
Tag 9: Was ist der seltsamste Ort, an dem du jemals warst?
„In dieses tote Ding, in das mich Luka geschleppt hat.“
„Das ist ein Museum“, berichtigt sie amüsiert, „und da kommen Cybriden nicht rein, nicht einmal jeder Mensch. Aber ja, es ist sehr skurril. Dort gibt es ausgestopfte Tiere, alte Maschinen, die letzten Bücher hinter dickem Glas und mehrere holographische Szenerien, wie die Menschen vor 4000 Zyklen gelebt haben. Unter anderem mit… Ato?“
„Autos meinst du?“, hake ich belustigt nach und Luca nickt bestätigend.
„Der See war schön“, wirft Kiran ein, „wir konnten uns hinsetzen und es hat sich angefühlt, als wäre der See und der Himmel und alles echt. Sogar diese kleinen Tierchen auf den Bäumen.“
„Vögel?“
Kiran nickt und lächelt. „Es hat Spaß gemacht sie zu jagen.“
Tag 10: Karfreitag – Feiertag in unserer Welt. In deiner auch?
Welche Feiertage gibt es in deiner Welt?
„Einmal im Zyklus ehren wir unsere Vorfahren, die die Stadt erbaut haben“, erklärt diesmal Luca, während Kiran mit den Ellbogen auf dem Tisch gestützt an einem Stück Sellerie herum kaut. „Auf dem Versammlungsplatz gibt es eine Statue von Corbin Nemitz, dem Gründer der Stadt. Es gibt eine Übertragung der Regierung über unsere iMg´s, mehrere Reden und alte Aufzeichnungen werden abgespielt. Wir bekunden unsere Treue gegenüber der Stadt und danach geht es wieder an die Arbeit. Ach ja, es gibt an dem Tag für jeden süße Beeren, die gesamte Ernte wird verteilt.“
Kiran horcht auf: „Wann ist der Tag?“
„In ein paar Wochen.“ Luca grinst. Vermutlich kommt ihr der gleiche Gedanke wie mir. Kiran hat sicherlich noch keine Beeren gegessen. Das wird ihm gefallen.
„Und wie genau sehen die aus?“ Das Stück Sellerie ist vergessen.
„Die meisten sind rot, manche beinahe blau und sie sind…“ Luca unterbricht sich, als Kiran so hastig aufspringt, dass sein Stuhl krachend auf dem Boden aufschlägt.
Mehrere Schritte hinter ihm steht ein weiblicher Cybrid und blinzelt uns mit großen Knopfaugen an. Ihre schlanke Nase, das zierliche Gesicht und die rundlichen Ohren erinnert mich an eine niedliche Spitzmaus.
„Entschuldigung, Ahdaari“, wispert sie kaum hörbar, „ich habe die Jacke im Garten gefunden und wollte Fragen, ob sie…“ Ihre Stimme erstirbt und Kiran räuspert sich lautstark.
„Mann, kannst du schleichen“, murmelt er und stellt den Stuhl wieder auf.
„Ich wollte niemanden erschrecken“, versichert sie hastig und die runden, abstehenden Ohren wackeln leicht.
„Das ist tatsächlich meine. Danke…?“
„Yerusha, Ahdaari“, stellt sich die junge Frau vor und vollführte einen kleinen Knicks. Luca machte Anstalten aufzustehen, um sich ihre Jacke zu holen. Aber Yerusha hielt sie hastig Kiran vor die Nase, der sie nach kurzem Zögern stirnrunzelnd entgegen nahm.
Die dunklen Knopfaugen ruhten einen Moment zu lange auf Kiran, bevor Yerusha so leise das Haus verließ, wie sie gekommen war.
Ich lehnte mich grinsend in dem bequemen Stuhl zurück.
„Was macht ein Kater, wenn er nicht gerade jagt, schläft oder auf einer Selleriestange herum kaut?“
Luca wirft mir einen missmutigen Blick zu, aber ich bin ganz zufrieden mit mir und meiner neuesten Nebenfigur.
Tag 11: Haben die Feiertage eine Bedeutung für dich?
Wenn ja, welche?
„Das mit dem Feiertag habe ich immer noch nicht ganz verstanden.“ Kiran läuft neben mir her. Gemeinsam folgen wir Luca mit etwas Abstand, die mit ihrem schlichten, aber strahlend weißen Gewand deutlich als Gebende zu erkennen ist.
Sobald uns andere Menschen in dem verzweigten Waldweg begegnen, fangen sie an zu tuscheln, passieren Luca mit gebührendem Abstand oder überschütten sie mit einem Schwall segnender und dankender Worte. Luca wirkt genervt, Kiran dagegen amüsiert. Kein Wunder, dass wir das Haus bis jetzt nicht verlassen habe.
„Es ist so“, beginne ich, „an Feiertagen wird aus religiösen Gründen die Arbeit niedergelegt und einem Gott gehuldigt. Welchem Gott auch immer.“
„Und ihr arbeitet an dem Tag gar nicht?“
„Gewissermaßen. Manche schon, gerade in Gaststätten oder Krankenhäusern.“
„Also, so ähnlich wie Luca. Sie arbeitet jetzt auch nicht, wegen dem Kind. Aber richtige Feiertage wie bei euch, gibt’s nicht. Die Menschen feiern ihren Gründervater, die Cybriden arbeiten nur. Wenn wir einen Tag krank sind, gibt es schon Ärger und man muss befürchten, entfernt zu werden. Außerdem gibt es dann keine Essensration.
In der Unterstadt blühen an mehreren Tagen im Zyklus die Weißpilze und die Sporen verteilen sich auf den meisten Ebenen. Wenn du die einatmest, bist du ziemlich gut drauf. Da kann es schon sein, dass wir nach der Arbeit tanzen und feiern.“
„Aus den Pilzen wird der Weiße Staub gemacht, richtig?“
„Stimmt. Die Sporen sind im Vergleich harmlos, aber der Weiße Staub macht richtig high. Frag Luca, die kennt sich damit aus. Ich hab ihr welchen verkauft. An dem Tag sind wir uns das erste Mal begegnet."
Tag 12: Es ist Ostern. Beschreibe uns ein Feiertagsritual deiner Welt.
„Tja…“ Kiran sitzt im hohen Gras vor mir und kaut nachdenklich auf einem Grashalm herum. Macht er sich damit nicht strafbar? Auf der Wiese zu sitzen ist etwas anderes, als sie auszureißen.
Luca liegt mitten in dem dichten, grünen Teppich und versucht sich Unsichtbar zu machen. Ganz offensichtlich hat sie genug von dem ehrerbietende Gehabe ihrer Mitmenschen.
„Wenn ich mir etwas aussuchen könnte, dann wäre ein freier Tag gar nicht schlecht für einen Feiertag“, Kiran überlegt, „und genug zu essen für jeden und vielleicht sogar ein Ausflug in die Oberstadt. So stelle ich mir ein schönes Feiertagsritual vor. Was macht man an Ostern?“ Er legt den Kopf schief.
„Hühnereier werden gekocht, bunt angemalt und für die Kinder versteckt. Dazu noch ein paar Schokoladeneier und vielleicht ein kleines Spielzeug. So feiern wir Ostern seit einigen Jahren. Übrigens…“ Ich mache eine theatralische Pause, „bevor ich hier angekommen bin, habe ich zwei Osterkörbe für euch ganz in der Nähe versteckt. Ihr müsst sie nur finden.“
Kiran starrt mich für einen Moment mit großen Augen an, dann springt er auf. „Dein Ernst?“
„Und ob! In die Richtung“, deute ich und sofort verschwindet Kiran zwischen dem hohen Gras.
„Ist er nicht süß, wenn er so enthusiastisch ist?“, lächelt Luca, bleibt jedoch liegen.
„Du musst deins schon selbst suchen.“
Luca entweicht ein zweifelnder Laut. „Vermutlich findet Kiran meins auch, bevor ich überhaupt aufgestanden…“
„Hab eines!“, ruft Kiran in dem Augenblick und Luca macht eine Habe-ich-doch gesagt-Geste. Dennoch stemmt sie sich nach kurzem Zögern auf und folgt dem Cybriden neugierig. Ich höre die beiden miteinander tuscheln und zum ersten Mal, seit ich ihre Welt betreten habe, lachen.
Scheinbar hat Kiran tatsächlich beiden Körbe gefunden, bevor Luca sich zu ihm gesellt hat. Das Gras raschelt, als beide wieder zu unserer kleinen Mulde laufen und sich setzen. Kiran stellt das kleine Körbchen stolz vor sich ab und begutachtet die zahlreichen bunten Eier und den Schokoladenhasen.
„Und das kann man alles essen?“, will er ungläubig wissen und hebt eines der kleinen Eier an.
„Und ob, du musst nur die Verpackung abmachen und die Hühnereier schälen.“
Kiran kämpft etwas mit dem Papier und beißt vorsichtig von der Schokolade ab.
„Bei den Vorfahren… Ist das gut…“, nuschelt Kiran und schließt die Augen genüsslich. Luca grinst und steckt dabei ihre Zunge sacht durch ihre Schneidezähne. Dann greift sie nach einem der Hühnereier und lässt sich von mir zeigen, wie sie geschält werden.
„Schokolade kenne ich, auch wenn ich sie nur einige Male in meinem Leben gegessen habe. Aber ein Hühnerei. Sowas gibt es hier nicht“, erklärt sie, begutachtet das geschälte Ei sorgfältig, schnuppert daran und probiert es.
„Interessant…“, entscheidet sie und linst zu Kiran, der sich über den Schokoladenhasen hermacht.
„So ein Feiertagsritual gefällt mir“, nuschelt Kiran mit vollem Mund.
„Das sollten wir jeden Zyklus machen“, lächelt Luca gutmütig, greift nach ihrem Schokohasen und legt ihn in Kirans Osternest.
Tag 13: Gibt es ein besonderes Essen zu Feiertagen in deiner Welt? Wenn ja, welches?
Wenn nein, verrate uns dein Lieblingsessen.
„Schokolade“, stöhnt Kiran genüsslich, „Eindeutig Schokolade!“
Luca lacht auf und hält sich hastig die Hand vor den Mund. „Wir sollten weiter.“
Schweigend gehen wir ein paar Schritte den kühlen Flur entlang und ignorieren die musternden Blicke der Wachhabenden, bis wir die Schleuse auf Ebene Zero erreichen.
„Ich sehe das wie Kiran, Schokolade ist am besten“, stimme ich zu und passiere die sich gerade öffnende Luke. Die Scharniere quietschen und ächzen unter dem schweren Gewicht des Metalls.
„Macht aber nicht satt“, gibt Luca zu bedenken, zieht sich die Mütze noch tiefer ins Gesicht und folgt uns hastig. Wir verlassen gerade unerlaubt die Oberstadt um uns in Kirans Reich etwas umzusehen. Luca ist verständlicherweise angespannt, während ich mich mit meinen angeklebten Spockohren sicherlich unauffällig zwischen den Cybriden bewegen kann. Hatte ich schon erwähnt, das Kiran spitze Ohren hat? Unter der Mütze, die er ständig in der Oberstadt trägt, war das nicht zu erkennen, hier unten ist es egal und Luca versteckt dafür ihre kleinen, rundlichen Ohren.
Sobald sich die Schleuse hinter uns geschlossen hat, ist es stockdunkel und muffig und feucht, wie in einem uralten Keller.
Soviel dazu sich hier umzusehen…
„Kannst du hier überhaupt etwas erkennen?“, frage ich Kiran und nehme einen Windhauch neben mir wahr, bevor Kiran nach meiner Hand greift.
„Sehr gut sogar. Die meisten Pflanzen leuchten und auf manchen Ebenen gibt es sogar Beleuchtung.“ Sein Tonfall konnte nicht sarkastischer sein.
„Na dann, führe uns zu deinem ehemaligen Zuhause.“
„Die Massenunterkünfte oder die bei Peryl? Beide waren ein Drecksloch.“
Ich spüre, wie mich Kiran sacht vorwärtszieht. So langsam erkenne ich tatsächlich etwas, wenn auch nur graue Flecken. Ein Nachtsichtgerät wäre jetzt von Vorteil oder eine Taschenlampe.
„Wie wäre es mit eurem zukünftigen Zuhause hier unten?“
„Dann auf zu Elvis.“
Tag 15: Wenn Du dir einen Ort aussuchen könntest und Geld keine Rolle spielen würde,
wo würdest Du gerne leben?
Nachdem ich mich wieder in der spartanischen Wohneinheit von Elvis befinde, kann ich im ersten Moment nur Luca entdecken. Dann erklingt ein ersticktes Würgen hinter dem aufgehängten Tuch in der Ecke und ich muss unwillkürlich auflachen.
„War doch etwas zu viel Alkohol Gáborr, was?“ Ich kann es mir nicht verkneifen. Das breite Grinsen in Luca´s Gesicht macht hastig einem besorgten Ausdruck Platz, als Kiran zu der kleinen, wärmenden Heizung schwankt.
„Mann, geht´s mir scheiße. Trinkt nie mit einem Zwerg um die Wette…“, nuschelt Kiran und ich bin mir sicher, dass er immer noch ordentlich Restalkohol im Blut hat. Er lässt sich auf die schmuddeligen Kissen und Decken auf dem Boden fallen und bettet seinen Kopf vorsichtig auf Luca´s Oberschenkeln.
„Selbst schuld. Ich habe das Zeug nicht angerührt“, meint Luca und legt behutsam eine Hand auf Kirans Stirn. „Dafür war die gebratene Ratte gar nicht so schlecht“, flüstert sie mir dann zu.
„Bringen wir es schnell hinter uns.“ Kiran dreht sich mühsam in meine Richtung und ich schiebe ihm unauffällig eine Packung Kopfschmerztabletten und eine Flasche Wasser zu. Dann stelle ich die heute Frage und Kiran runzelt die Stirn, bevor er sich eine Tablette in den Mund steckt und trinkt.
„Was ist Geld?“ Kiran sieht zu Luca, die ratlos mit den Schultern zuckt.
„Ein Zahlungsmittel in Form von kleinen Metallscheiben und bedrucktem Papier, die jeweils andere Werte haben und je nachdem konnte man dafür Lebensmittel oder Kleidung tauschen. Für das Geld ging man arbeiten“, erkläre ich und versuche die größer werden Augen vor mir zu ignorieren.
„Das klingt aber sehr kompliziert.“ Ächzend landet Kirans Kopf wieder auf Luca´s Schoß. „Ich würde auf jeden Fall überall wohnen wollen, nur nicht in dieser Stadt.“
„Wenn ich könnte“, begann Luca, „ dann würde ich gerne die alten Orte der Erde ansehen. Die Berge, das Meer, den Urwald und… die vielen ausgestorbenen Tiere. Das wäre wundervoll.“
Tag 17: Wie würde dein ultimatives Traumhaus aussehen?
„Luca´s Aufenthaltsort während ihrer Schwangerschaft ist schön.“ Kiran zuckt mit der Schulter, „wenn nur die ganzen Augen nicht wären.“ Eine Anspielung auf das umfangreiche Überwachungssystem der Oberstadt, die kaum Privatsphäre ließ, selbst in den Häusern. In Luca´s vorübergehendem Heim befinden sich in jedem (wirklich jedem) Zimmer Kameras, die nicht nur Luca´s Schutz sicherstellt, sondern auch das korrekte Verhalten von Kiran und ihr.
Tag 18: Welches Land steht ganz oben auf deiner Reise-Liste?
Was war dein schönstes Urlaubserlebnis?
„Was ist Urlaub?“ Kiran kratzt sich im Nacken und ich habe sofort das Bedürfnis es ihm gleich zu tun. Nach der ersten Nacht hier unten, wägte ich mich noch in Sicherheit, aber jetzt juckt und kratzt es überall. Offenbar hatte Kiran keinen Witz gemacht, als er die Flöhe erwähnte. Nur Luca schien seltsamerweise davor gefeit.
„Man arbeitet nicht, wird aber dafür bezahlt und viele in meiner Zeit bereisen dabei ein anderes Land.“
„Warum?“, hakt diesmal Luca nach. Wir schlendern über einen der zahlreichen Tauschmärkte in der Unterstadt, der sich zur Abwechslung in einem beleuchteten Flure befindet.
„Um etwas anderes kennen zu lernen oder zu sehen, oder auch nur, um nicht selbst kochen zu müssen. Auf der Erde gab es viele unterschiedliche Kulturen und Klimazonen. Die einen sind lieber Ski gefahren, die anderen wollten in der Wüste mit Kamelen reiten.“
„Aha“, kommt es skeptisch von Kiran, während ich die zahlreichen, abgegriffenen und teilweise defekten Schätze auf den löchrigen Stofffetzen am Boden begutachte. So ein rostiger Eimer macht sich bepflanzt sicherlich gut vor Luca´s Häuschen.
„Wie ich schon sagte, würde ich gerne die alte Erde sehen, mit den Tieren und den Bergen und dem… weißen Regen.“
„Du meinst Schnee“, berichtige ich lächelnd und tausch den löchrigen Eimer gegen eine Schokoladentafel.
„Was ist Schnee?“, will Kiran wissen.
„Es fällt vom Himmel und ist kalt“, erklärt Luca begeistert.
„Also so ähnlich, wie das Kondenswasser in den untersten Ebenen. Da brauchst du nur über einen Flur laufen und du bist vollkommen durchnässt und friert erbärmlich.“
„Das ist Regen“, berichtige ich, „aber so ähnlich.“
„Dann will ich dort nicht Urlaub machen. Lieber an einem See oder einem anderen Ort, wo es warm ist.“
Tag 19: Lieber Wildcampen oder Luxushotel?
„Wildcampen in der Natur?“, Luca scheint sofort begeistert, „zwischen all den Tieren und Pflanzen und dem Regen, nicht wahr? Das klingt toll?“
„Das mit dem Luxushotel aber auch“, wirft Kiran ein, „das mit den Massagen und der Bade-was?“
„Badewanne.“
„Genau, so viel Wasser, dass man darin baden kann. Und dem Essen, dass man bekommt und dem weichen Bett und alles wird für einen sauber gemacht. Das wäre toll.“
„Ja, stimmt. Vielleicht beides?“, schlägt Luca lächelnd vor und lehnt sich dabei gegen Kirans Schulter.
„Dann ein Luxushotel mitten in der Wildnis.“
Tag 20: Welche Sprachen sprichst du, welche würdest du gerne sprechen und
warum gerade diese? Sprichst du irgendwelche Dialekte?
„Wie viele Sprachen gibt es denn bei euch?“, will Kiran irritiert wissen.
Gut, dass ich vorher gegoogelt habe: „Etwa 6500.“
Kiran blinzelt. Entweder er ist erstaunt, über die hohe Anzahl – wie ich übrigens auch – oder er kann mit der Zahl nichts anfangen.
„Also, wir sprechen alle die gleiche Sprache. Nur die Menschen haben manchmal eine etwas steife Art sich auszudrücken.“
Luca knufft Kiran in den Oberarm, grinst aber dabei.
„Wo er Recht hat…“
Tag 21: Hast du Wurzeln aus fremden Ländern?
„Wir haben überhaupt kein Land. Wie viele Länder gibt es denn?“, fragt Kiran verwundert.
Dank Mama-Google weiß ich auch das: „Es gibt 196 Länder. Die größten sind Russland, USA, China, Brasilien, Australien, Indien, Argentinien usw. Deutschland ist ziemlich klein.“
„Aha“, erwidert Kiran nickend, „Wir haben zwei Städte und die könnten nicht unterschiedlicher sein.“
„Die gesellschaftlichen Strukturen klaffen stark auseinander “, ergänzt Luca, „In der Oberstadt herrscht beinahe eine Diktatur, in der Unterstadt Anarchie. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie groß ein ganzer Planet sein soll. Wie kamen die ganzen unterschiedlichen Völker miteinander zurecht?“
„Gar nicht“, erwidere ich knapp. Warum sonst sollte ich meiner Ansicht nach ein – vielleicht – überspitztes Weltbild skizzieren, in der sich die Menschheit selbst ausgelöscht hat?
Tag 22: Du wirst auf eine einsame Insel verbannt
und darfst nur einen Gegenstand mitnehmen.
Welcher wäre das?
„Ein Gegenstand, keine Person?“, Kiran überlegt kurz, „dann meine Zahnbürste.“
Luca lacht auf: „Das war klar! Er putzt sind andauernd die Zähne. Nach jedem Essen und ich glaube auch dazwischen. Mich würde es nicht wundern, wenn er Nachts dafür sogar aufsteht.“
„Quatsch, da schlafe ich, wobei…“, grinst Kiran, wird aber schnell wieder ernst. „Du warst aber auch noch nie in der Unterstadt bei einem Zahnheiler. Die einzige Möglichkeit bei uns Zahnschmerzen zu behandel ist, sie rauszureißen – ohne Betäubung. Wenn man es sich leisten kann, dann kippt man sich vorher noch hochprozentigen Alkohol runter. Weh tut es trotzdem.“
„Das stimmt, das war ich nicht. Aber bei uns sind Schmerzmittel auch Mangelware, seit ich ein Kind war. Ich verstehe dich gut.“ Luca legt versöhnlich eine Hand auf Kirans Schulter.
„Ich würde dich am liebsten auf eine einsame Insel mit nehmen, da ich mein iMg immer bei mir habe.“ Sie tippt sich mit dem Finger auf die kleine, flache Scheibe an ihrer Schläfe. „Damit kann ich Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen und die können mich wieder abholen.“
„Wenn sie das wollen“, lacht Kiran.
„Gemein!“, schmollt Luca und knufft ihn in die Seite.
„So einfach ist das nicht. Der Empfang dürfte das größte Problem sein“, werfe ich ein.
„Wieso? In der Oberstadt bin ich kontinuierlich online. In der Unterstadt bricht der Kontakt erst nach mehreren Ebenen ab. Aber es gibt sogar dort unten Möglichkeiten, wie Signalverstärker.“
„Die Erde ist eine Kugel“, erkläre ich, „keine Scheibe, wie deine Stadt. Jedenfalls geht dein Signal nicht durch die Erde hindurch und um dein Signal um die Krümmung der Erde zu senden braucht es einen Richtfunk, der von Satellit zu Satellit geschickt wird.“
„Und… ein Satellit ist?“, fragt Luca diesmal nach.
„Ein Flugkörper, der sich in der Umlaufbahn der Erde befindet und vom Erdboden aus gesteuert werden kann.“
„Moment mal, die Erde ist eine Kugel?“, wirft Kiran verwundert ein und mir wird wieder einmal klar, dass man ihm die fehlende Schulbildung nur selten anmerkt.
„Luca soll dir ein Bild von der Erde zeigen, sobald wir wieder in der Oberstadt sind“, schlage ich vor und ernte zustimmendes Nicken.
Tag 23: Wenn es eine persönliche Flagge für dich gäbe, wie würde sie aussehen?
Ich stelle die heutige Frage und schiebe gleich eine Erklärung hinterher. In Luca und Kirans Welt gibt es keine Flaggen, eher Logos oder Symbole.
„Dann nehme ich das Gleichheitszeichen in Rot auf weißem Grund, dann sieht man es am besten“, entscheidet Kiran. Es ist ein Symbol das viele Wände in der Unterstadt ziert. Zwei parallel verlaufende Striche, ähnlich einem zu langen = und einem kleinen Kreis in dessen Mitte. Eine kleine Rebellion der Cybriden und ein Versuch den Menschen klar zu machen, dass sie alle gleich sind.
„Ich nehme eine Sonne“, erklärt Luca, „Sie ist für mich das Symbol der Freiheit. Unter einem Himmel kann man nur frei sein, oder?“
Tag 24: Welche Gesetze gibt es in deiner Welt?
„Sehr viele“, erläutert Kiran, „vor allem, wenn man sich als Cybrid in der Oberstadt aufhält. Man darf Menschen nicht in die Augen sehen und schon gar nicht ansprechen. Wir müssen den Menschen immer Vortritt lassen, nicht im Weg stehen oder berühren. Eben sowas… Wenn ein Cybrid dagegen verstößt, wird er entfernt, also in aller Öffentlichkeit hingerichtet. Das ganze wird dann auf sämtlichen Kanälen übertragen, um ein möglichst abschreckendes Beispiel abzugeben. Selbst in der Unterstadt kommt man kaum dran vorbei, aber seit ich den iMg habe, muss ich es mir ansehen.“
„Die Aufzeichnung wird auf die Netzhaut übertragen“, erklärt Luca, „selbst wenn man die Augen schließt, sieht man es. Wie jede Sendung in der Oberstadt. Für die Menschen gibt es im Übrigen genau so viele Regelungen und Gesetze. Um zum Beispiel eine illegale Schwangerschaft auszuschließen, ist es uns untersagt Beziehungen zu führen. Nicht jeder hält sich daran. Es gibt genau so Konsequenzen, wenn auch die Entfernung eines Menschen sehr viel gründlicher überlegt wird. Es gibt einfach zu wenige von uns. Dafür besuchen wir ein Verhaltensanpassungsprogramm. Danach ist man oft nicht mehr der selbe. Mein Bruder war dort, er hat die Arbeit zu oft geschwänzt, Dinge gestohlen, was bei uns sehr einfach ist. Sämtliche Türen sind unverschlossen. Er wusste, dass sie ihn erwischen, aber er hat nicht aufgehört. Seit er im VA-Programm war, ist er sehr… gesetzestreu.“
Tag 25: Wenn du König oder Königin eines eigenen Landes wärst,
welche Gesetze würdest du erlassen?
„Jeder sollte gleich sein und die Gesetze sollten für jeden gleich gelten. Oh, und jeder soll am Abend satt schlafen gehen. Das ist das wichtigste Gesetz“, ergänzt Kiran zufrieden.
„Gleiche Gesetzte für jeden, das klingt perfekt“, stimmt Luca lächelnd zu.
Tag 26: Wenn du nur noch ein Lebensmittel deiner Welt für den Rest deines Lebens essen könntest, welches wäre das und warum gerade dieses?
„Mohn-Marzipanjoghurt. Luca hat den bekommen und ich durfte probieren. Er war lecker und seitdem überlässt Luca mir den Joghurt immer, wenn wir einen zugeteilt bekommen“, schwärmt Kiran genüsslich.
„Der Joghurt ist wirklich köstlich, aber ich würde mich jedes Mal für die Nusskekse meiner Großmutter entscheiden. Mit Haselnüssen und Mandeln und Datteln und einer Geheimzutat, die sie mir bis heute nicht verraten hat. Ich liebe sie!“
Nur zur Anmerkung, es gibt in Luca und Kirans Welt keine Kühe, der Joghurt besteht aus Pflanzenmilch.
Tag 27: Du musst wählen: Welchen Charakter hättest du gerne als Mitbewohner?
„Elvis, er ist mein bester Freund und hält auch zu mir, nach dieser ganzen Katastrophen. Außerdem hat er einen Ordnungstick und kann gut kochen“, grinst Kiran.
„Ich nehme meine Großmutter“, erklärt Luca, „sie kocht auch gut und sie hat meinen Bruder und mich seit dem Tod unseres Vaters großgezogen. Sie ist toll, wenn auch mittlerweile etwas vergesslich.“
Tag 28: Würdest du lieber eine Woche lang dein Haus nicht verlassen dürfen
oder eine Woche lang nicht nach Hause dürfen?
„Zuhause?“, hakt Kiran nach, „Es gibt keinen Ort, an dem ich lange genug gelebt habe, um es so zu nennen und die anderen Orte waren es nicht wert. Ich würde gerne lange zuhause bleiben, aber dann muss ich es erst finden.“
„Die Wohnung mit meiner Großmutter ist mein Zuhause“, erklärt Luca, „dort bin ich mit meinem Bruder aufgewachsen. Ich bin gerne dort. Wenn ich die Tage in unserem Wald verbringen könnte, dann lieber draußen. Ansonsten gerne Zuhause.“
Tag 29: Was ist der wertvollste Gegenstand,
den du jemals draußen auf der Straße gefunden hast?
„Eine Ratte“, grinst Kiran, „ich habe sie aber nicht gefunden, sondern gefangen. War lecker.“
„Würg…“, keucht Luca, „Mein wertvollster Gegenstand? Eigentlich findet man weder in der Ober- noch in der Unterstadt irgendetwas wertvolles. Jeder noch so kleine Gegenstand ist entweder in Verwendung, wird recycelt oder zum tauschen verwendet. Ich habe einen kleinen Ring aus Metall gefunden. Er war silbern, mit einem Wellenmuster. Ich habe ihn in der Recyclingstation abgegeben.“
Tag 30: Wie denkst du sieht deine Welt in 50 Jahren aus?
„Unvorstellbar anders“, grinst Kiran und deutet mit seinem Kommentar auf das Ende des Buches hin.
„Besser. Hoffentlich“, ergänzt Luca.